... und in vier Wochen ist Weihnachten

Wir haben Ende November und in vier Wochen ist Weihnachten, wie jedes Jahr. Auch im November 1914 gab es in Neuland im Kehringer Land am Elbstrom zwischen Stade und Cuxhaven ein Weihnachten, doch diesmal war es anders als sonst.

Meßtischblatt

Meßtischblatt 1:25.000 aus dem Jahr 1895 von Neuland, das an an einem Seitenarm der Elbe liegt und seiner Umgebung mit Wolfsbruch, Wolfsbrucher Moor, Neulander Moor und im Norden Winschhafen mit der Insel Winschhafener Sand bzw. das westlich gelegene Hamelwördener Moor. Im Jahr 1895 gab es laut Volkzählung im Wolfsbruchermoor 33 Gebäude mit 169 Einwohner, Wischhafener Sand bestand zu dem oben genannten Zeitpunkt gerade mal aus 12 Gebäude mit 90 Einwohner. Neulandermoor hatte immerhin 637 Einwohner.

Die Schiffe für den Transport der vor Ort hergestellten Ziegeln in das nahegelegene Hamburg waren im November wie jedes Jahr in den kleinen Häfen der Region sicher für den Winter vertäut, doch es war seit August Krieg und die Männer noch immer als Soldaten im Feld. Sie wollten doch zu Weihnachten zurück sein! Seit Monaten kamen nur ab und zu ein Brief oder Postkarte an.

Da verkündete der Wirt in Neuland, der auch die Postagentur nebenher betrieb, die frohe Botschaft: „Weihnachtspaketwoche“: „Vom 23. Bis 30. November können erstmals mit Paketkarte Privatpäckereien ins Feld aufgegeben werden. Bis zu 5 Kilo dürfen sie wiegen, die Verpackung muss fest und dauerhaft sein, widerstandsfähig gegen Nässe. Es gilt ein Einheitstarif von 25 Pfennig.“

Das sprach sich in Windeseile in der ländlichen Umgebung herum, überall wurden Pakete gepackt und selbst bei Dunkelheit zur Postagentur gebracht, wie die Absenderangaben und die Uhrzeit der Abstempelungen auf den Paketkarten verraten. Ob aus Winschafener Sand, Neulandermoor, Hammelwördener Moor oder Wolfsbruch, die kleine Postagentur bekam in diesen Tagen viel zu tun.

Paketkarten

Da wurden selbst uralte Formulare heraus gekramt und verwendet. Hier das alte große Format, das bis 1904 verwendet wurde.

Paketkarte altes Format

Wenn die zu versendenden Gaben einmal schwerer als die erlaubten 5 Kilo waren, wurden diese auf zwei Pakete verteilt und getrennt versandt. So geschehen bei den beiden Paketen an den Gefreiten Horeis aus Neuland, die zusammen am 29. November aufgegeben wurden. Das eine Paket hatte das Höchstgewicht von 5 Kilo, das andere wog 2,5 Kilo. August von Altwörden aus Wolfsbruch kam dagegen zweimal zur Post. Am 25. bzw. 28. November sandte er an seinen Sohn(?) H. von Altwörden zuerst ein Paket mit 2,5 Kilo Gewicht, dann ein weiteres mit 2 Kilo.

Der Zusammenhalt vor Ort war offensichtlich sehr groß. So versandte der Gesangsverein von Neuland ebenfalls Liebesgaben an seine Mitglieder. Der Verein wurde vornehmlich von Schiffsleuten als Club Elbe im Jahr 1904 zur Pflege der Geselligkeit gegründet, dem anfangs nur Verheiratete und Selbständige beitreten konnten. Dieser Verein hatte 1913, ein Jahr vor Kriegsbeginn, den im Absendervermerk angegebenen Gesangsverein gegründet. Gut, dass der Wirt auch abends im Schankraum Pakete annahm, wie die Uhrzeit 7- 8 N im Poststempel zeigt.

Paketkarte Gesangsverein

Doch am Ende der Paketwoche gingen ihm die 25 Pfennig Marken aus, daher beklebte er am 30. November die letzten Paketkarten mit den noch vorhandenen 5 bzw. 10 Pfennig Marken.

Paketkarte MiF

Laut Amtsblattverordnung durften auf der Paketadresse keine Mitteilungen gemacht werden, denn die Formulare blieben bei der aufgebenden Postanstalt. Das war auch gut so, denn dadurch überlebten die hier abgebildeten Paketkarten. Sie wurden nach mehr als 100 Jahren bei Renovierungsarbeiten der alten Gastwirtschaft gefunden. Mit Germania Marken sind sie die einzigen, die mir aus diesem Versuchszeitraum vom 23. - 30. November bekannt sind. Erst am 22. Februar 1915 wurde der Versand von Paketen in und aus dem Feld bis 10 Kilo Gewicht über die verschiedenen Militärpaketdepots zuerst für die Westfront zugelassen, die anderen Frontabschnitte folgten später im Jahr.

Doch nicht alle Weihnachtspakete scheinen rechtzeitig eingetroffen zu sein, wie die Zeitungen damals berichteten. Mangels Transportkapazitäten mußten am östlichen Kriegsschauplatz die Pakete in der Etappe zwischengelagert werden, denn militärische Transporte hatten Vorrang.

Ralf Graber, Heppenheim

Literatur
[1] Meßtischblatt 2221, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)
[2] Chronik der Gemeinde Wischhafen, Bd. I u. Bd. II, Stade 2001, 2004
[3] Amtsblatt des Reichs-Postamts Nr. 113 vom 14. November 1914, S. 449
[4] O. Grosse: Die deutsche Feldpost, Berlin 1915